Regelmäßig kamen Leute der örtlichen Sparkasse in unsere kleine Grundschule, um die Schulspardosen zu leeren. Das wurde zuvor immer angekündigt. Der Inhalt der Spardose wurde mit einer automatischen Münzzählmaschine erfasst und auf mein Sparkonto gutgeschrieben. Scheine hatte ich nur wenige in meiner Spardose, vielleicht ab und zu mal ein Zehnmarkschein. Einmal hatte ich nur 93 Pfennige gespart. Da lag daran, dass ich mit Hilfe eines Messers zuvor der Spardose, die ja nur der Sparkassenmensch öffnen konnte, Geld entnahm. Wenn wir vom Leeren unserer Spardosen in das Klassenzimmer zurückkamen, fragte uns die Lehrerin nach der Summe unserer Ersparnisse. Wer am sparsamsten war, also viel Geld gespart hatte, wurde gelobt.
Als ich sagte, 93 Pfennige gespart zu haben, wurde ich von der Lehrerin vorgeführt, die Klasse lachte und ich setzte mich beschämt auf meinen Platz. Ein paar meiner Mitschülerinnen und Mitschüler lachten mich nicht aus. Das waren diejenigen, die ihre Spardosen regelmäßig vergaßen und dafür zuvor schon von der Lehrerin getadelt wurden. Erst später wurde mir klar, warum ein paar die Spardose immer vergaßen. Sie hatten einfach kein Geld zum Sparen, weil sie sich oft nicht einmal Schulhefte kaufen konnten und dann als Akt der Gnade ein leeres Heft von der Lehrerin erhielten. Dieser Gnadenakt spielte sich aber immer vor den Augen der Klasse ab. Noch heute tut mir diese Szene aus meiner Schulzeit weh.
Öffentliches Sparen war vor 50 Jahren offensichtlich noch Bestandteil der Pädagogik, gleichermaßen eine Pädagogik öffentlicher Bloßstellung und Beschämung. Manche Klassenkameradinnen und Klassenkameraden sparten eigentlich gar nicht, aber sie hatten immer einen ansehnlichen Betrag in der Spardose, und ersparten sich jeglichen peinlichen Akt der Beschämung. Ihre Eltern, Großeltern oder Onkel und Tanten hatten zuvor die Spardose mit ein paar Scheinen bestückt, wie mich einer meiner Schulfreunde aufklärte.
Der 30. Oktober ist nach wie vor Weltspartag, obschon es im Vergleich mit der Zeit, als ich am Schulsparen teilnehmen musste, viel weniger Zinsen gibt und die Kontoführungsgebühren immer teuerer geworden sind. Inzwischen werden neue Kampagnen veranstaltet, die uns dazu erziehen sollen, unser Geld nicht einfach auf einem Sparkonto zu lassen, sondern in die verschiedenen Fonds, Aktien oder gar Edelmetalle zu investieren, auch in Hinblick auf unsere Altersversorgung. Nicht zuletzt wird auch dafür geworben, gar nichts zu sparen, sondern möglichst viel zu konsumieren, um das Wirtschaftswachstum zu fördern, denn ohne Wachstum kein Wohlstand.
Nicht erst die große Banken-Krise vor 17 Jahren hat das Vertrauen in jegliche Sparkassen und Banken nachhaltig erschüttert. Zu den großen Erzählungen der Deutschen gehört auch die Hyperinflation von 1923. (Vgl. Georg von Wallwitz, Die Große Inflation. Als Deutschland wirklich pleite war, Berlin 2021.) Nichtsdestotrotz, das Sparen und die damit verbundene Vermögensbildung gehören nach wie vor zu den in unserer Kultur tief verwurzelten Tugenden.
Die Frage, warum das so ist, könnte uns der Tag erklären, der auf den Weltspartag folgt, nämlich der 31. Oktober, das ist der Reformationstag. Martin Luther war bekanntlich Mönch im Augustinerorden, übrigens derselbe Orden, aus dem auch Papst Leo XIV. hervorgegangen ist.
Grundsätzlich waren und sind alle Orden in der Katholischen Kirche auch wirtschaftliche Unternehmen mit Einnahmen und Ausgaben. Auch wenn die Bettelorden des Mittelalters ursprünglich kein eigenes Vermögen bilden wollten, konnten sie sich letztlich nicht dagegen wehren. Aber die einzelnen Mitglieder hatten kein Vermögen, waren zu persönlicher Armut verpflichtet und mussten ihre Gemeinschaft um das bitten, was sie brauchten.
Das ist im Prinzip auch heute noch so. Ein Ordensmitglied hat einen monatlichen Verfügungsbetrag, führt darüber Buch und am Ende des Monats gibt sie oder er das, was übrig bleibt, zurück an die Gemeinschaft, die das Vermögen verwaltet. Je mehr das Ordensmitglied zurückgibt, vielleicht sogar noch mehr, als es von der Gemeinschaft bekam, weil ihm beispielsweise Geld geschenkt wurde, desto besser ist es. Auf diese Art und Weise entstand und entsteht durch mönchische Askese Kapital; auf diese Weise gelangten Klöster und Ordensgemeinschaften zu großem Reichtum, und darin lag auch ein großes Problem, „ist doch die ganze Geschichte der Ordensregeln in gewissem Sinne ein stets erneutes Ringen mit dem Problem … des Besitzes.“ (Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Tübingen 1920, hier: Köln, 2009, 158.)
Martin Luther setzte zwar durch die Veröffentlichung seiner 95 Thesen am 31. Oktober 1517 die Reformation in Gang, verließ später seinen Orden und verdammte schließlich die klösterliche Lebensform, aber weder er noch die anderen Reformatoren schafften die mönchische Askese ab. Vielmehr begann mit dem Protestantismus ein systematischer Prozess der Transformation einer klösterlichen in eine innerweltliche Askese.
Max Weber hat dies in beeindruckender und bis heute unwidersprochener Weise nachgewiesen. Weber stellt fest: „Die christliche Askese, anfangs aus der Welt in die Einsamkeit flüchtend, hatte bereits aus dem Kloster heraus, indem sie der Welt entsagte, die Welt kirchlich beherrscht. Aber dabei hatte sie im ganzen dem weltlichen Alltagsleben seinen natürlichen Charakter gelassen. Jetzt trat sie auf den Markt des Lebens, schlug die Türe des Klosters hinter sich zu und unternahm es, gerade das weltliche Alltagsleben mit ihrer Methodik zu durchtränken, es zu einem rationalen Leben in der Welt und doch nicht von dieser Welt oder für diese Welt umzugestalten.“ (Ebd. 138)
Der Umgang mit Geld ist und bleibt im Christentum - sowohl vor als auch nach der Reformation - ein ethisches Problem, weil es den Christinnen und Christen von Anfang an sehr schwer fiel, das, was Jesus dazu gesagt hat, umzusetzen. Tatsächlich sagt Jesus: „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Mt 6,24) Oder: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen; und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!“ (Mt 19,21)
Andere aber verweisen stattdessen auf das Gleichnis von den Talenten, wo der Herr denjenigen lobt, der das meiste Geld erwirtschaftet hat (vgl. Mt 25, 14-30) und schließlich zu dem, der nichts erwirtschaftet hat, sagt: „Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ (Mt 25, 27-30)
Die Dinge rund um das Geld waren immer komplex und werden komplex bleiben. Sparsamkeit ist sicherlich eine wichtige Tugend, aber alle sollten sich immer wieder fragen, worauf oder für wen sie sparen. Bei dieser Antwort helfen uns die Tage weiter, die auf den 30. und 31. Oktober folgen, nämlich Allerheiligen und Allerseelen.
Allerheiligen und Allerseelen erinnern Christinnen und Christen daran, dass irdisches Leben begrenzt und die endgültige Heimat im Himmel ist, und dass es dort ein Haus mit vielen Wohnungen gibt, welche mit dem Geld dieser Welt nicht zu erwerben sind.
Allerheiligen und Allerseelen erinnern uns auch daran, dass wir nicht danach gefragt werden, was wir für uns aufgespart, sondern was wir für andere investiert haben.
Jesus sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40)
Bei unseren Berechnungen auf dem Weg durch diese Zeit in die Ewigkeit Gottes mag uns vielleicht das folgende Gedicht Werner Bergengruens (1892-1964) trösten:
„DIE HIMMLISCHE RECHENKUNST
Was dem Herzen sich verwehrte,
laß es schwinden unbewegt.
Allenthalben das Entbehrte
wird Dir mystisch zugelegt.
Liebt doch Gott die leeren Hände,
Und der Mangel wird Gewinn.
Immerdar enthüllt das Ende
sich als strahlender Beginn.
Jeder Schmerz entlässt dich reicher.
Preise die geweihte Not.
Und aus nie geleertem Speicher
nährt dich das geheime Brot.“
(Werner Bergengruen, Die Heile Welt. Gedichte, Luzern 1971, 20.)
UTGH
