Am 24. November 2024 wurde die fast 250 Jahre alte St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin nach umfangreichen Umgestaltungen wiedereröffnet. Diese Renovierungsmaßnahmen sind auf unterschiedliches Echo gestoßen. Sowohl die Herder Korrespondenz (HK 9/2025) als auch die Stimmen der Zeit (11/2025) widmen sich mit Beiträgen von Benedikt Kranemann und Stephan Winter und Jan Krieger diesem Thema. Beide Beiträge loben den Umbau. Kranemann und Winter, als Liturgiewissenschaftler und Krieger als Architekt.
Die Liturgiewissenschaftler betonen, „Sankt Hedwig“ werde seinen „Ort in der Sakraltopographie Berlins und darüber hinaus“ (HK, 9/2025, 51) noch finden. Es ist die Rede von laufenden Suchprozessen (vgl. ebd. 50), aber insgesamt spiegele der Ort den von „Papst Franziskus geförderten Geist der Synodalität“ (ebd. 49) und die „Intention Friedrichs II.“ (ebd.) wider. Mir kommt dabei der Gedanke: Papst Franziskus und Friedrich II. - Beide Namen fangen mit „F“ an. Analogie als Ähnlichkeit bei gleichzeitiger je größerer Unähnlichkeit?
Ich selbst war nach den jüngsten Umbaumaßnahmen zweimal in Sankt Hedwig, sowohl zur stillen Visite als auch als Mitfeiernder eines Gottesdienstes. Mein Eindruck bei der stillen Visite: Großartiger Raum, fast aseptisch. Einzige Störfaktoren: Menschen, Sitzgelegenheiten und eine herumliegende Streichholzschachtel. Mein Eindruck während des Gottesdienstes: Im Mittelpunkt steht immer der zelebrierende Priester. Dort wo er ist, ist immer die Mitte. Priesterzentrierte oder christuszentrierte Liturgie?
Interessant ist die Argumentation des Architekten Krieger, der in seinem Beitrag in den Stimmen der Zeit (StdZ 11/ 2025, 861-871) letztlich davon ausgeht, dass die Umgestaltung der Kathedrale, insbesondere in Hinblick auf die Krypta wieder zum Ursprungsbau zurückführt, also gleichermaßen back to the roots. Doch wo liegen die Wurzeln? Ein oberflächlicher Besuch bei Wikipedia macht deutlich, dass Sankt Hedwig bereits verschiedene Umgestaltungen erlebt hat. Die Architektur des Kreises als ewige Herausforderung?
Vor der Kirche erlebe ich diskutierende Menschen. Begeisterte und Entgeisterte. Sankt Hedwig polarisiert. Das ist eigentlich weder neu noch originell. Ständig wurden Kirchen umgebaut. (Heute werden Kirchen umgewidmet oder abgerissen, aber auch das ist weder neu noch originell, sogar in Rom.) Romanische Bauten wurden gotisiert, gotische Gotteshäuser gnadenlos barockisiert. Rücksicht auf die ursprünglichen Erbauer gab es schon damals nicht. Selbst der sich nüchtern gebende Protestantismus konnte sich der Barocke nicht entziehen und baute kräftig mit und um.
Allerdings ist es im Fall von Sankt Hedwig wichtig zu wissen, und das ist heute am Tag des Falles der Mauer besonders zu betonen, dass es sich in diesem Fall auch um eine „Ost- West-Debatte“ handelt, denn von vielen „Ostkatholiken“ wird der Umbau (vor allem das Schließen des von manchen sog. Loches in der Mitte) als das Auslöschen einer historischen Erinnerung empfunden, also auch an die spezielle Bedeutung, die die katholische Kirche in der DDR hatte. Hier waren die für den Umbau letztverantwortlichen Berliner Erzbischöfe, die aus dem "Westen" stammten, vielleicht nicht so gut beraten.
Wie auch immer, es gibt kaum Kirchen, die ihre Ursprünglichkeit bewahrt haben. Jede Zeit versucht aufs neue mit Hilfe von Kunst und Architektur eine in ihren Augen zeitgemäße Erfahrung von Wirklichkeit und Gott mitzuteilen, egal, was andere Architekten und Künstler zuvor geschaffen haben. Der Unterschied zu früheren Zeiten ist vielleicht, dass es heute eine (Gottseidank) kritische Öffentlichkeit gibt, die nachfragt und gegebenenfalls sogar protestiert. In früheren Zeiten, aber bisweilen auch heute noch gilt eher: Wer das Orchester bezahlt, bestimmt, was gespielt wird; der Rest hat zuzuhören und die Klappe zu halten, weil sie oder er sowieso weder Ahnung von Kunst noch von Liturgie hat.
Wer eine Kirche sehen möchte, die sich seit ihren Anfängen fast gar nicht mehr verändert hat, der sollte sich auf den Weg nach Lippoldsberg an der Weser in das ehemalige Benediktinerinnenkloster des Hl. Georg machen. Dies ist einer der wenigen romanischen Bauten nördlich der Alpen, der seine Ursprünglichkeit bewahrt hat. Die früh verstorbene Mareike Liedmann hat dies in beeindruckender Weise in ihrer Dissertation erforscht. (Vgl. Mareike Liedmann, Die Klosterkirche Lippoldsberg und die Frage mittelalterlicher Architekturrezeption zwischen Weser und Ostsee, Regensburg 2018.)
Doch auch hier ist Vorsicht geboten! Wir stolpern auch in Lippoldsberg über temporäre Ausstellungen, akustische Installationen oder Musikinstrumente, die auf einer Art von Wäscheleine hängen und auf das Jubiläum des örtlichen Posaunenchors verweisen. Wir stoßen auf Sitzbänke aus dem 19. oder 20. Jahrhundert oder eine Kanzel, gleichermaßen der Versuch einer späten bundesrepublikanischen Nachkriegsgotik.
Gottlob wird das irgendwann wieder abgebaut. Schade nur, dass manche Leute lediglich einmal in ihrem Leben nach Lippoldsberg kommen. Wenn dann dort gerade irgendeine Ausstellung stattfindet, hatten sie keine Chance, einen ganz ursprünglichen Raum zu erleben.
Ein Künstler sagte einmal zu mir: Sakralarchitektur hat zwei sehr ernstzunehmende Gegner: Die ästhetisch gestylte Zahnarztpraxis und das heimische Wohnzimmer. Wie auch immer, wenigstens kann ich mein Wohnzimmer selbst gestalten.
UTGH
